25 Jahre Galerie Arbeiterfotografie
art is like religion
Jos Deenen, Fotomontagen



Galerie Arbeiterfotografie, Merheimer Str. 107, 50733 Köln
9. bis 30. April 2015
geöffnet mi/do 19-21 Uhr, sa 11-14 Uhr und nach Vereinbarung

Eröffnung: Donnerstag, 9. April 2015, 19 Uhr

in Anwesenheit von Jos Deenen
Eröffnungsrede Prof. Roland Günter, Deutscher Werkbund, Autor von "Fotografie als Waffe"
Musikalisches Intermezzo von Ratio con Anima, Violine und Akkordeon

Filmabend: Samstag, 18. April 2015, 19 Uhr
  • Deutschland DaDa, 63 Min. (D 1969)
  • John Heartfield, Fotomonteur, ca. 60 Min. (D 1977)
  • Filme von Helmut Herbst, cinegrafik, aus der Reihe: 3 Filme zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts
    UKB 10 Euro / erm. 3 Euro

    Finissage: Freitag, 1. Mai 2015, 15 Uhr
    Vortrag Jos Deenen:
    art is like religion

    Workshop: Freitag, 1. Mai 2015, 17 Uhr
    mit Jos Deenen:
    Die Welt durch die Augen meiner Schere gesehen
    Teilnehmerzahl begrenzt
    Unkostenbeitrag 25 Euro / Ermäßigung auf Anfrage
    Anmeldung erforderlich

    Eröffnung am 9. April 2015 in der Galerie Arbeiterfotografie in Köln (Fotos von Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann und Karl-Heinz Otten)


    Prof. Roland Günter zur Eröffnung der Ausstellung

    Die Galerie besteht nun seit einem Viertel-Jahrhundert. 25 Jahre – dies ist hier zugleich alt und jung. Beides kann man feiern. In 25 Jahren wurde ausgezeichnete Arbeit geleistet. Eine große Leistung, weil die Ressourcen sehr knapp waren. Politische Kunst ist in dieser Gesellschaft immer noch weithin ein Fremdwort. Und die Politischen könnten den Stellenwert von ästhetischer Kultur besser entdecken und einschätzen. Viele Schwierigkeiten wurden gemeistert. 25 Jahre ist eigentlich jung – das beste Alter. Ich gratuliere Euch, vor allem Anneliese und Andreas und wer zudem tätig war. Ich weiß nicht, wo über Eure Geschichte ausführlich gesprochen wird. Die 25 Jahre verdienen es. Der gesellschaftliche Kontext war überaus schwierig – aber wann war er nicht mühsam und konfliktreich?

    Nun zur Ausstellung: Jos Deenen, Fotomonteur. Ich könnte auch sagen: Bild-Erfinder. Bild-Erfinder von höchst realen Situationen. Scheinbar ein Paradox. Wenn jemand in einem Thema, das eigentlich ziemlich realistisch im Alltag liegt, genauer hinschaut, durch die Banalität hindurch sieht, zu Tiefenschichten kommt, den Kern durchschaut, dann macht er dasselbe wie Jos Deenen. Der Vorgang ist stets mehr oder weniger, schwächer oder intensiver eine Arbeit, in der das Thema das Thema ist, aber die Augen aufgehen, ein neues Bild entsteht, neue Aufmerksamkeit geweckt wird, zum Vorschein kommt, worum es sich wirklich handelt. Dies ist der Vorgang des Erfindens von Bildern, die zugleich mit der Alltagswelt verbunden sind und zugleich neue Bilder entstehen lassen.

    Wenn jemand über jemanden spricht, ist es interessant, zu wissen, mit welchen Augen und Denk-Weisen er den anderen sieht. Ich sage erstmal, wie ich sehe. Dies kann interessant sein für Sie. Dass wir uns hier wohl vorrangig mit gesellschaftlichem Interesse treffen und nicht wie im Kunsthandel unter dem Motto „Kunst um der Kunst willen", setze ich voraus. Jos Deenen hat mit dem „L'art pour l'art" nichts zu tun. Ich bin von Haus aus Kultur- und Kunsthistoriker. Ich versuche, einige Sätze zu meiner Position zu sagen und dann zu seiner. Zunächst meine Position zur Kunstgeschichte. Ich habe sie meist sehr kritisch gesehen und bin dafür bekannt. Die herkömmliche Kunstgeschichte hat sehr enge Raster, mit denen auch Jos Deenen nichts zu tun hat. Ich kann mir vorstellen, dass sie ihn meist zu ignorieren versucht. Seine Bilder werden aber irgendwann die Museen erreichen. Diese Kunstgeschichte ist im älteren Teil Repräsentations-Geschichte.

    Im Zeitgenössischen Teil, wenn sie unsere Zeit überhaupt erreicht, bedient sie Repräsentation in zeitgenössischer Erscheinung. In der Struktur gibt es darin wenig Unterschied, nur die Ausdrucksweisen sind anders. Die Kunstgeschichte macht sie sich meist als eine Perlenkette von Meisterwerken zurecht. Man mag sie mögen, aber man muss erkennen, dass die Methode, sie zu verarbeiten sehr sehr eng ist. Ihre Auswirkungen sind verheerend, vor allem abschreckend und zerstören die Kunst. Wen sie nicht auserwählt, darf nur zuschauen und Beifall klatschen. Sie schüchtert unzählige Versuche ein. Sie grenzt weithin aus. Sie lebt von einigen Behauptungen. Es gibt kaum Argumente. Stilgeschichte ist ein aberwitziger Bluff. Jetzt mögen einige von Ihnen bei dieser Behauptung aufschreien – wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich sie mit Beweisen zuwerfen.

    Auch Jos Deenen gehört zu den Beweisen für diese These. Er ist ein außerordentlich bedeutender Künstler, aber Sie können ihn weder in die Perlenkette noch in den Gänsemarsch der Kunst-Stile einreihen. Fast völlig ausgelassen hat die Kunstgeschichte die Kunst, die sich ausdrücklich mit Politik beschäftigt. Es geht um gesellschaftspolitische Reflexion. Dieses Auslassen stammt aus der Dienstbarkeit für höfische Repräsentation, die bis in unsere Zeit Nachfolge hat – und da geht es um Dekoration. Denn meist wird nur sie bezahlt. Und viel Wertschätzung wird vom Kunsthandel gesteuert: über die Preise. Allerdings gibt es auch eine um 1900 immer breiter werdende Tradition der Subjektivität. Künstler gewinnen den Mut selber und abweichend zu denken, zu suchen und darzustellen. Damit hat Jos Deenen sehr viel zu tun. Wie schade, dass wir zu dem, was ich hier in wenigen Zeilen andeute, keine Woche ein Seminar machen können. Zum umfangreichen Unsinn, den immer noch eine verbreitete Kunstgeschichte erzählt, gehört, etwas, was die Kunst von Jos Deenen berührt. Man teilt ein in Kunstgattungen: Malerei, Plastik und so weiter. Es sind rein technische Kategorien. Mit Inhalten haben sie nichts zu tun. Warum dann?

    Mit der Kategorie Fotografie hatte man immer schon Schwierigkeiten. In einer Zeit, in der man immer genauer die Natur untersuchte, wurden ihre Abbildungen immer mehr heruntergestuft und diffamiert. Tatsächlich müsste es keinen wirklichen Unterschied machen, wie man Bilder macht – Hauptsache, dass sie aussage-kräftig sind. Tatsächlich war es der wirtschaftliche Neid von Malern gegen Leute, die mit neuen Verfahren, u.a. der Fotografie, Bilder machten. Dazu gab es einen langen argumentationsarmen Streit, der bis heute anhält. Und dann legten Fotografen selbst nach: gegen die Foto-Montage. Gegen diesen Umgang mit Fotos. Sie würden zerschnippelt. Dies wären keine Bilder aus einem Guss. Alles Unsinn!

    Tatsächlich macht die Fotomontage etwas Uraltes, das man sich rasch klar machen kann. Sie komponiert. Sie nimmt Teile und stellt sie zusammen. Ähnlich wie ein Theater-Regisseur unterschiedliche Schauspieler mit unterschiedlichen Rollen zu einem Stück als Ganzem inszeniert. Dieses Zusammen hat einen eigenen Wert.

    Warum machen dies Künstler quer durch die Zeiten? Das Bild entsteht im Kopf. Der Volksmund sagt auch: Ich mache mir ein Bild. Es ist nicht die Wirklichkeit, die unmittelbar da liegt. Bild ist antropologisch und seit jeher Vorstellung. Die unmittelbare Notwendigkeit ist nur in wenigen Fällen notwendig. Und wo es authentisch sein muß. Und zugespitzt: intensiver ist als die Vorstellung. Bild ist seit jeher als Vorstellung zusammen gestellt. Dazu kann man auch sagen: montiert. Zum Beispiel bei Breughel und Bosch, um Beispiele zu nehmen, die Jos Deenen nahe stehen. Immer nahm sich der Künstler etwas aus dem Vorgefundenen, speicherte es, im Kopf oder mit Hilfsmitteln, und fügte es zusammen mit anderem nach einer Idee zu einem Werk. Was also durch Jahrhunderte geschah, ist im Prinzip Montage. Übrigens machen wir dasselbe in unserem Kopf, wenn wir denken: Alles ist Montage. Jeder Gedanke ist eine Montage. Jede Vorstellung. Was immer wir tun, setzt sich zusammen aus vielem. Das Montieren ist also total elementar. Im Grunde jedes Detail. Aber es kommt darauf an, dass daraus etwas entsteht, das in sich dicht ist – was auch immer dieses dicht ist.

    Die Kunstgeschichte hat übersehen, dass das Montieren am Anfang steht – sie hat es ans Ende gesetzt. Weil sie die Fotografie als Kunst abgewertet hatte.

    Die Foto-Montage entstand in einer Zeit, wo das Bildermachen mehr Möglichkeiten erhielt. Nicht nur durch Skizzieren mit der Hand, was sich auch dank einer entstehenden Kunstpädagogik verbreitete, sondern vor allem durch die Fotografie, die technisch immer einfacher handhabbar wurde – bis hin zu den kleinen Kameras oder sogar in Telefonen u.a. eingebauten Foto-Chips. Mit Maßen konnte es sich demokratisieren, in dem es für mehr Menschen zugänglich wurde. Aber das Wesentliche ist auch heute noch genau so wesentlich wir seit jeher: das Zusammensetzen zu einer Idee. Dies wurde in Zeiten, in denen Widersprüche jeglicher Art zunahmen und sich verschärften, ein besonders günstiges Medium, mit dem man etwas zugespitzt zeigen kann. Vor allem um harte Gegensätze zu zeigen. Oft in der Richtung zur Satire – und zugleich mit einer besonderen Nähe zum Realen. Dies ist zwar ein Gegensatz, den auch jeder Zuschauer merken soll, aber er intensiviert die Vorstellung, dass es dabei um Reales geht. Aber in einer Inneren Weise.

    Die Literatur arbeitet seit jeher ähnlich, ohne dass man es merkt. Man hält es für selbstverständlich, weil man Literatur nur so kennt. In der Fotografie hat sich das Publikum daran gewöhnt, dass ein Bild konsistent und bis ins Detail den vorgefundenen momentanen Augenschein für die Realität zu halten. Mit dieser naiven Annahme sträubt es sich erstmal gegen eine Fotomontage. Aber mit der Foto-Montage hat mancher noch Schwierigkeiten.

    Jos Deenen hat Vorbilder. Dies sind viele Klassiker niederländischer Bilder. Ganz stark wirksam ist Breughel.

    Er geht aber nicht nur mit den in den Künsten auffindbaren Anregungen aus Bildern um, sondern greift sich, weil er mit Fotografie arbeitet, aus dem immensen Reichtum an Fotografien heraus, was immer ihm als Partikel zur Montage sinnvoll erscheinen kann. Und als Fotomonteur erscheint ihm natürlich der erste große Klassiker: John Heartfield. So hat der Künstler – und dies eine Fähigkeit von Künstlern – durch den Reichtum an vorhandenen Bildern die wunderbare Möglichkeit, relativ überall zu sein. Er kann also auch über die Zeiten fliegen. Er vermag auch gleichzeitig mit vielem zu sein.

    Und er kann mit der Gegenwart jedes Bildes teilnehmen, wozu er und die meisten Menschen nie zugelassen wären. Hinzu kommt, dass Jos Deenen geradezu mit Leidenschaft gegen eine verordnete gesellschaftspolitische Bravheit arbeitet. Dabei begeht er viele Tabubrüche, die das Gefängnis-Gitter eines verordneten, oft komfortabel ausgestatteten Bewusstseins einreißen und Stoff für Emanzipation vielfältiger Art anbietet. Dies provoziert oft gewaltig in Zeiten sehr unterschiedlichen Denkens.

    Jos Deenen hat ein enorm großes Spektrum an Themen. Es gibt nur wenige Künstler, die so viel Zeitgenössisches aufnahmen und verarbeiteten.

    Es ist eine Kunst der Symbole. Symbole können etwas auf den Punkt bringen. Ein Symbol intensiviert. Es hat die Kraft, Emotionen in Bewegung zu bringen. Es rührt an. Es stößt weit mehr an, als es unmittelbar zeigt. Es setzt Assoziationen frei. Es bringt Geschichten ins Laufen. Erinnerungen. Lässt fliegen.

    Der Künstler blättert auf. Wie ein Literat. Er legt Wesentliches unter Oberflächen frei. Er zeigt die Schere im Kopf und stellt die Frage: Wenn ihr sie erkennt, wollt ihr euch davon befreien.

    Wir wollen nicht mehr dumm bleiben. Oder für dumm gehalten werden.

    Da er zusammen stellen kann, ist er auch in der Lage, Unterschiedliches in Bezug zu setzen. Auf engstem Raum oder in weiten Räumen. Als Zusammenhang. Als Vielfalt. Als Vielschichtigkeit. Als Ambivalenz. Als Schillerndes. Zweideutiges. Als Gegensatz.

    Damit setzt er beim Zuschauer vieles in Bewegung. Der scheinbar ohnmächtige Künstler ist sehr mächtig. Jos Deenen nimmt sich die Freiheit, den Papst Woytila, der sich einer weit gespannten Realität entzieht – zumindest für die Öffentlich – ihn mit der Realität zu konfrontieren. Dafür wäre er in anderen Zeiten auf dem Scheiterhaufen gekommen und nicht in diesen Raum zu uns. Etablierte nennen dies Unverschämtheit. Das Perverse des Macht-Anspruchs in diesem Wort wird deutlich. Mit dieser Freiheit, die sich der Künstler Jos Deenen nimmt – nichtnehmen sie sich alle, viele nicht, aber eine gute Anzahl – gehen sie auch dem Publikum voraus. Oder bestärken es, wo es sich bereits emanzipierte.

    Der Foto-Monteur arbeitet wie ein Poet. Jos Deenen ist ein Poet. In der Kurzform jedes Bildes.

    Kunst ist nicht vollendet – sie vollendet sich erst mit den Zuschauern, die damit arbeiten. Also mit uns.

    Wir alle erhalten eine Art Allmacht, wie sie ein Künstler wie Jos uns zeigt.

    Einige Hinweise zu den Themen von Jos Deenen: In welche Welt setzen wir Kinder? Der Jahrmarkt der Eitelkeiten des Konsums. Es gibt so viele Masken zum Durchschauen und abreißen. Du kannst die Bibel auch anders verstehen. Monster – aber was sind sie wirklich?

    Er hat spannende kurze Texte – und Zitate. Wenn man eine Maske aufsetzt – wird man ein anderer. Oder zeigt sein wahres Sein.


    NRhZ-Fotogalerie zur Ausstellung:
    nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21470

    NRhZ-Fotogalerie zur Ausstellung als pdf:
    nrhz-fotogalerie-jos-deenen.pdf

    NRhZ-Fotogalerie über die Ausstellungseröffnung:
    nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21519

    NRhZ-Fotogalerie über die Ausstellungseröffnung als pdf:
    nrhz-fotogalerie-jos-deenen-roland-guenter.pdf

    UZ-Hinweis vom 3.4.2015 als pdf:
    uz-2015-04-03.pdf

    UZ-Artikel vom 10.4.2015 als pdf:
    uz-2015-04-10.pdf

    Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger vom 23.4.2015 als pdf:
    ksta-2015-04-23.pdf

    Hinweis aus dem freiBRIEF 2105-1 (Freidenker-Info NRW) als pdf:
    freibrief-2015-01.pdf

    Flyer zur Ausstellung:
    2015-25-jahre-jos-deenen-einladung-plakat.pdf

    Flyer 25 Jahre Galerie Arbeiterfotografie:
    2015-25-jahre-faltblatt.pdf
    Übersichtsseite 25 Jahre Galerie