Kriegsschauplatz Irak
US-Doktrin: Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Staates
Aus dem Vortrag "Krieg gegen Irak - Frieden schaffen mit aller Gewalt?" von Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr - gehalten u.a. am 21.1.2003 in Köln

Die militärische Operationsführung mit konventionellen Waffen folgt dem seit dem Golfkrieg 1991 von den USA unter dem Rubrum »Revolution in Military Affairs« entfalteten neuen Paradigma. Dieses basiert auf ihrer beispiellos überlegenen Rüstungstechnologie und manifestiert sich in Doktrinen, welche die amerikanischen Streitkräfte unter den Termini »Joint Vision 2010«, »Concept for Future Joint Operations«, »Joint Vision 2020« und »Force XXI« entwickelt haben. Die strategische Zielsetzung dieser Konzeptionen besteht im Kern darin, “[to] provide America with the capability to dominate an opponent across the range of military operations. This Full Spectrum Dominance will be the key characteristic we seek for our Armed Forces in the 21st century.” Diesem Paradigma zufolge werden Kriege mit Hilfe von High-Tech-Waffensystemen geführt, - Waffen, auf welche die USA und ihre Rüstungsindustrie ein Quasi-Monopol besitzen. Es handelt sich hierbei vor allem um überlegene, weltraum- und luftgestützte Aufklärungssysteme, modernste Informations- und Führungstechnologie sowie konkurrenzlos überlegene Luftkriegsmittel. Dieses Instrumentarium soll die Kriegführung aus der Distanz ermöglichen, eigene Verluste vermeiden und auch gegnerische soweit wie möglich verringern. Wenn überhaupt, kommen bodengebundene Streitkräfte nur in geringer Stärke zum Einsatz, wobei sie in diesem Fall vornehmlich der Unterstützung des Luftkrieges mittels Aufklärung und Zielbeleuchtung sowie sonstigen Spezial- oder Kommandooperationen dienen. Mittlerweile ist es den US-Streitkräften gelungen, das Zusammenwirken von Special Forces und Air Force bei der Zielaufklärung, -markierung und -bekämpfung in bis dato nicht für möglich gehaltener Weise zu verbessern.

Da für die konkrete Besetzung gegnerischen Territoriums Landstreitkräfte erforderlich sind, deren Einsatz indessen stets mit erheblichen Verlustrisiken verbunden ist, streben die USA an, daß die Verbündeten oder jeweiligen Koalitionspartner ihre Truppen für den Einsatz am Boden bereitstellen. Generell gilt für den Einsatz bodengebundener Streitkräfte unter dem Aspekt der Ökonomie des Krieges und im Kontext massenmedialer Omnipräsenz, daß jene tunlichst nicht in Massenschlächtereien traditioneller Art, sondern vorzugsweise erst nach der gegnerischen Kapitulation zum Zwecke der Stabilisierung und Absicherung einer Waffenstillstandsvereinbarung oder Friedensregelung sowie zur sogenannten „Kriegsfolgenbereinigung“ zum Einsatz kommen sollen. Schon die Kriege in Kroatien und Bosnien 1995 sowie im Kosovo 1999 demonstrierten, wie effektiv dieses neue Paradigma der Kriegführung in die Tat umgesetzt wurde und der Krieg in Afghanistan unterstreicht dies erneut. Einen weiteren Beleg liefern die bekannt gewordenen Überlegungen des Pentagons, für den ins Auge gefaßten Krieg gegen den Irak die schiitische Opposition im Süden und die kurdische im Norden für den koordinierten Kampf mit den US-Luftstreitkräften auszubilden und auszurüsten.

In diesem Kontext ist auch ein Blick auf die derzeit gültige Luftkriegsdoktrin der U.S. Air Force höchst aufschlußreich. Entwickelt worden war diese bereits im Frühjahr 1988 von dem damaligen Colonel John A. Warden III, dessen Überlegungen in der Folge den strategischen Luftkrieg gegen den Irak 1991 sowie gegen Jugoslawien 1999 entscheidend prägen sollten. Den Kern des strategischen Ansatzes Wardens stellt sein sogenanntes 'Fünf-Ringe-Modell' dar.

Zielprioritäten für den strategischen Luftkrieg (beginnend mit der höchsten Priorität)
  • I. Leadership (politische und militärische Führungsspitze)
  • II. Organic Essentials (Schlüssel-Industrie)
  • III. Infrastructure (Transport-Infrastruktur)
  • IV. Population (Zivilbevölkerung)
  • V. Fielded Military (Militär)
Quelle: General A. Warden III: "The Enemy as a System" und "Air Theory for the Twentyfirst Century", Air University, Maxwell AFB, Alabama 1998

Ausgehend von einer systemtheoretischen Betrachtungsweise beschreibt Warden einen potentiellen Gegner als ein System konzentrisch angeordneter Ringe, deren strategische Relevanz von innen nach außen abnimmt. Angewendet auf einen feindlichen Staat definiert Warden dieses System der gestaffelten Ringe folgendermaßen: Im Zentrum befindet sich die politische und militärische Führungsspitze. Darum herum gruppieren sich die Schlüssel-Industrie, die Transport-Infrastruktur, die Zivilbevölkerung und ganz außen das Militär.

Aus der Wichtigkeit dieser Elemente im Hinblick auf die Überlebensfähigkeit des Staates sowie aus ihrer Verwundbarkeit gegenüber Luftangriffen leiten sich direkt die Zielprioritäten für den strategischen Luftkrieg ab.

Hervorzuheben ist, daß diese Luftkriegsdoktrin ganz bewußt auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Staates abzielt und insbesondere auch die Zivilbevölkerung selbst zum expliziten Ziel deklariert.

Der Luftkrieg gegen Afghanistan illustrierte dies wiederum in exemplarischer Weise. Während der Weltöffentlichkeit suggeriert wurde, daß die U.S. Air Force selektiv und präzise die Infrastruktur von Osama bin Ladins Al-Quaida sowie das rudimentäre Militärpotential der Taliban zertrümmerte, meldete der amerikanische Fernsehsender NBC unter Berufung auf einen hochrangigen Offizier der amerikanischen Streitkräfte, daß die amerikanische Luftwaffe die entsprechend völkerrechtlicher Regularien deutlich gekennzeichneten Lager des IKRK in Afghanistan vorsätzlich bombardiert hatte, um die dort deponierten Lebensmittel und Hilfsgüter nicht in die Hände der Taliban fallen zu lassen. Indes verbietet es Artikel 54 des Zweiten Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention, „für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte“ anzugreifen oder zu zerstören. Vorsätzliche Angriffe auf humanitäre Einrichtungen fallen demnach unter die Kategorie der Kriegsverbrechen. Insgesamt sollen mehr als achtzig Prozent der IKRK-Strukturen in Afghanistan zerstört worden sein. Symbolhaften Gehalt besaß schon die Zerstörung eines Büros der Vereinten Nationen in Kabul zu Beginn der Bombardierungen, wobei vier lokale Mitarbeiter, deren Aufgabe darin bestand, im Rahmen eines humanitären UNO-Projektes Minen zu räumen, getötet worden waren. Darüber hinaus ist bis heute ungeklärt, ob die Bombardierung des Kabuler Büros des arabischen Fernsehsenders »Al Djasirah«, der mehrfach Interviews mit Osama bin Ladin ausgestrahlt hatte, die ihm zuvor auf Videobändern zugespielt worden waren, durch die U.S. Air Force Absicht oder Zufall war.

Andererseits rückt das gegnerische Militär auf der Liste der Zielprioritäten ganz nach hinten. Die von Warden gegebene Begründung hierfür ist schlagend: „Contrary to Clausewitz, destruction of the enemy military is not the essence of war; the essence of war is convincing the enemy to accept our position, and fighting his military forces is at best a means to an end and at worst a total waste of time and energy.“ In der Realität des Krieges gegen Afghanistan resultierte aus einer solchen Doktrin, daß ein ohnehin unbewohnbares Land noch unbewohnbarer gemacht wurde.

(Der Autor vertritt in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen)


Weiterer Beitrag zum Kriegsschauplatz Irak:
"Das ganze hat überhaupt nichts mit Öl zu tun."
Die irakische Ölindustrie verstaatlicht und diesen Schritt auch noch propagandistisch ausgeschlachtet: das geht zu weit - Betrachtungen von Andreas Neumann vom 12.3.2003

Alle Beiträge zum Irak im Überblick:
Frieden ist Menschenrecht!
Rede von Angelika Claußen (IPPNW) bei der Demonstration gegen den geplanten Irak-Krieg, Berlin, 15.2.2003
Der Krieg gegen den Irak: ein vorsätzliches großes Verbrechen
Stellungnahme zum Krieg gegen den Irak von Dr. Detlef Enge-Bastien, Arzt für Innere Medizin im Krankenhaus Bitburg - im Auftrag der IPPNW 1991 für vier Monate im Irak, 23.3.2003
US-Doktrin: Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Staates
Aus dem Vortrag "Krieg gegen Irak - Frieden schaffen mit aller Gewalt?" von Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr - gehalten u.a. am 21.1.2003 in Köln
"Das ganze hat überhaupt nichts mit Öl zu tun."
Die irakische Ölindustrie verstaatlicht und diesen Schritt auch noch propagandistisch ausgeschlachtet: das geht zu weit - Betrachtungen von Andreas Neumann vom 12.3.2003
Das große Spiel - Worum es geht
Auszüge aus einer Betrachtung von Andreas Hauß vom März 2003
Eine Etappe auf dem Weg zur Weltherrschaft - Bush, Cheney, Rumsfeld & Co. arbeiten an ihrem 'Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert'
Betrachtung von Rainer Rupp
Tödliche Technologie - Deutsche Rüstungskonzerne mischen beim Bombenkrieg gegen den Irak kräftig mit
Artikel von Ralf Wurzbacher in 'junge Welt' vom 7.4.2003
Aber heute geht es um Demokratie und Menschenrechte
Schlaglichter aus der Geschichte des Kampfes um Öl - Faktenzusammenstellung ausgehend von der Sendung des WDR-Fernsehens 'Blut und Öl' vom 28.3.2003
Ergebnisse der 'Operation Freiheit für den Irak'
Aus der Seite www.aljazeerah.info/News%20Photos/Photos%20of%20Iraq%20war%20victims.htm
Davidstern - Das Foto, das auf der Titelseite der New York Times fehlte
Artikel von Thomas Immanuel Steinberg vom 28.5.2004
Die neuen Nazis marschieren
Ein Schrei des Entsetzens - von Andreas Vogel, November 2004
Das verborgene Massaker von Falludscha - Fallujah
Betrachtungen von Thomas Immanuel Steinberg, 17.11.2005
Was wir über den Vorgang, der als Entführung von Susanne Osthoff veröffentlicht wurde, wissen
Zusammenfassende Betrachtungen von Andreas Vogel, 21.12.2005 (ergänzt am 8.1.2006)
Das Wunder von Bakuba
Eine als 'Terroristenführer' bezeichnete und 'al Sarkawi' genannte Person soll getötet worden sein, 9.6.2006
Krebs in Falludscha
Aufsehenerregende Studie: Zur Hinterlassenschaft der US-Armee im Irak gehören die Folgen des Einsatzes von Uranmunition - Karin Leukefeld, Damaskus, am 31.8.2010 in 'junge Welt'

Alle Beiträge zum 'Massaker' von Halabja:
'Die Akte Saddam' - Kriegspropaganda oder zutreffende Information zum richtigen Zeitpunkt?
Zur Kampagne des Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel' und anderer Medien im Vorfeld des geplanten Kriegs gegen den Irak
Der CIA-Mann und Halabja - Zur angeblichen 'Wahrheit' über den Giftgasangriff auf die Kurden
Artikel von Ulla Jelpke in 'junge Welt' vom 6.2.2003
Inmitten einer Propagandaschlacht
Über Jan Keetmans Angriff - in 'ak' vom 21.2.2003 - auf den Ex-CIA-Mitarbeiter Pelletiere, die 'junge Welt' und die 'Friedensfreunde'

Alle Beiträge zur Powell-Show im Überblick:
"Monster-Gesellschaft"
US-Außenminister Colin L. Powell's Show vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003 in den Medien
Behauptungen, die Beweise genannt werden
Aus der Show von US-Außenminister Colin L. Powell vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003 (in deutscher Übersetzung)
Statements called evidence
Parts of the show of the Secretary of State Colin L. Powell to the United Nations Security Council, February 5, 2003 (Englisches Original - english original)
"Wir dürfen nicht vor dem zurückschrecken, was vor uns liegt" - vor den Verbrechen, die wir planen
Auszüge aus der Rede von US-Außenminister Colin L. Powell vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003
Pleiten, Pech und Pannen
Artikel von Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 14.2.2003

Alle Beiträge zur Saddam-Inszenierung Teil 1: Wie der 'Sieg' gegen den Irak in Szene gesetzt wurde
Kostenlos stellen die Zeitungen dem Pentagon ihre Titelseiten und die Kreativität ihrer Grafiker zur Verfügung
Kleiner Querschnitt durch die 'Berichterstattung' zur Besetzung Bagdads und zum Sturz der Saddam-Hussein-Statue in Bagdad am 9.4.2003
Das Bild des stürzenden Diktators Saddam - eine Fälschung?
Hans Christoph Stoodt, Pfarrer in Frankfurt, am 17.4.2003
Triumphale Freude über das 'Gelingen' eines mörderischen Raubüberfalls beim Anblick des inszenierten Sturzes
Hans Magnus Enzensberger und Jürgen Habermas in der 'FAZ' vom 15. bzw. 17.4.2003

Alle Beiträge zur Saddam-Inszenierung Teil 2: Die 'Festnahme' der Saddam Hussein genannten Person
Wie ein Phantom als Video auftaucht, wieder verschwindet und die Welt 'aufatmen' läßt
Kleiner Querschnitt durch die 'Berichterstattung' zu dem Vorgang vom 13.12.2003, der als Festnahme von Saddam Hussein dargestellt wird
Wie eine Ratte in einem Loch voller Ratten - und wo die Saddam Hussein genannte Person sonst gefunden wurde
Ein Querschnitt durch Agenturmeldungen und andere Berichte
Denksportaufgabe: Wo liegt Camp David?
Welche Schlüsse die Berichterstattung über die Festnahme der Saddam Hussein genannten Person gestattet
Datteln lügen nicht
Berichte über mysteriöse Umstände der Festnahme Saddams in Irak mehren sich - Artikel von Rainer Rupp aus 'junge Welt' vom 19.12.2003
Belanglose Todesopfer von unschätzbarem Wert
Über die Funktion der Bilder vom 16. März 1988 aus Halabja im Nordirak

Alle Beiträge zur Saddam-Inszenierung Teil 3: Der erste Gerichtstermin (am 1.7.2004) mit der Saddam Hussein genannten Person
"Dies ist alles Theater..."
Über die wundersame Wandlung des so genannten Saddam Hussein
Wie eine Person vor Gericht auftaucht, Saddam Hussein genannt wird und dort ihre Rolle spielt
Kleiner Querschnitt durch die 'Berichterstattung' zu dem Vorgang vom 1.7.2004, der als Gerichtsverhandlung mit Saddam Hussein dargestellt wird

Alle Beiträge zur Saddam-Inszenierung Teil 4: Der zweite Gerichtstermin (am 19.10.2005) mit der Saddam Hussein genannten Person
Saddam ist nicht Saddam
Ist die im Rahmen von angeblicher Gefangennahme und Prozeß Saddam Hussein genannte Person tatsächlich Saddam Hussein? - 22.10.2005 (zuletzt überarbeitet am 26.10.2005)